Regelmässiges / Unregelmässiges beim Mond
Für die Himmelsbeobachter der Antike war der Himmel Inbegriff der Beständigkeit und des ewig gleichen Ablaufs. Im Laufe der Jahrtausende erkannte man, dass diese Konstanz nur scheinbar ist, vorgespiegelt durch die im Verhältnis zu einem Menschenleben ganz langsamen Veränderungen. Für heutige Astronomen gilt im Gegenteil: „Am Himmel ist nichts konstant“. Und weil der Mond gerade vor unserer „Haustüre“ ist, treten die Unregelmässigkeiten bei ihm am deutlichsten hervor. So müssen denn alle Angaben über den Mond, wie etwa die Zeit von Neumond zu Neumond (ein synodischer Monat) immer mit dem Zusatz „im Mittel“ versehen werden. Auch braucht die Berechnung einer einzigen Mondposition für die Koordinatentabelle in der Jahresübersicht Hunderte von Rechenschritten. Der Mond durchläuft nämlich, auf die Fixsternsphäre projiziert, eine immer etwas andere Bahn.
Dies merken am deutlichsten die Sternfreunde, die regelmässig Sternbedeckungen durch den Mond beobachten. Da kann es sein, dass der Mond nördlich über einem bestimmten Fixstern durchläuft, einige Monate später bedeckt er ihn und nachher wandert er südlich unter dem Fixstern durch. Nach etwas über 9 Jahren kommen diese Bahnverschiebungen zum Stillstand und bilden sich zurück, bis nach weiteren 9 Jahren die entgegengesetzte Extremposition der Mondbahn erreicht ist.
Im Jahr 2006 wurde eine solche Extremposition durchlaufen: die Deklination des Mondes erreichte maximale nördliche und südliche Werte.
Man sieht aus der Grafik, dass der Mond deutlich höher bzw. tiefer steigt als die Sonne in den Sonnwendpunkten (± 23° 26’ 19“). Die Deklinationsextrema sind in der nachfolgenden Tabelle angegeben.
Extremale Deklinationen
Datum | Zeit | Deklination |
22. März 2006 | 17:54 MEZ | – 28° 43’ 23“ |
15. September 2006 | 3:27 MESZ | + 28° 43’ 22“ |
Das gilt allerdings nur, wenn man den Mond geozentrisch, das heisst vom Erdmittelpunkt aus beobachten könnte. Von der Erdoberfläche aus (= topozentrisch) ergeben sich Abweichungen, die beim Mond wegen seines kleinen Abstands recht gross werden können.
Interessanterweise vertauschen sich bei der topozentrischen Beobachtung aus unseren geografischen Breiten die Daten: im März wurde von Berlin und Zürich aus die nördlichste, im September die südlichste Deklination beobachtet:
Datum | Zeit (MEZ / MESZ) | Deklination | ||
2006 | Berlin | Zürich | Berlin | Zürich |
7. März | 19:41.5 | 19:54.8 | + 28° 16’ 24“ | + 28° 21’ 14“ |
29. September | 18:52.5 | 19:07.9 | – 29° 37’ 20“ | – 29° 36’ 39“ |
Extremale Kulminationshöhen
Bis jetzt ging es um die nördlichste oder südlichste Position des Mondes, bezogen auf die Fixsterne. Natürlich zeigt sich dieses Auf und Ab auch bezogen auf den Horizont, z.B. bei der Kulminationshöhe. Einige Gärtner und Kleintierzüchter beobachten ja das Auf- und Absteigen der Mondbahn (in der Schweiz „obsigend“ und „nidsigend“ genannt), um besondere Effekte bei ihren Pflanzen und Tieren zu erzielen. Die besonders starken Auf- und Abstiege des Mondes hätten also 2006 die grössten Kaninchen und Karotten seit 18 Jahren ergeben müssen .
Die höchste und tiefste Kulminationshöhe fand wiederum zu andern Zeiten, aber auch im Jahr 2006 statt:
Datum | Zeit (MESZ) | Kulminationshöhe über Horizont | ||
2006 | Berlin | Zürich | Berlin | Zürich |
15. September | 7:57.2 | 7:36.4 | 65° 49’ 02“ | 70° 53’ 26“ |
29. September | 18:18.8 | 18:39.5 | 7° 52’ 53“ | 12° 53’ 31“ |
Im Jahr 2006 konnte deshalb auch das Phänomen „Mond mehr als 24 Stunden über bzw. unter dem Horizont“ (entsprechend der Mitternachtssonne bzw. der Polarnacht) schon ab einer geografischen Breite von etwa 61° beobachtet werden.
Die Drehung der Knotenlinie
Himmelsmechanisch lässt sich die Verschiebung der Mondbahn erklären, wenn man von der Ekliptik ausgeht. Dieser gedachte Kreis am Himmel zeigt ja den Lauf der Sonne während des Jahres. Auch die Planeten bewegen sich mehr oder weniger in der Nähe dieser Bahn. Der Mond läuft nun in einer Ebene um die Erde, die um 5° 09’ gegen die Ekliptik geneigt ist. Dieser Winkel bleibt gleich, jedoch dreht sich die Schnittlinie der Mondbahn und der Ekliptik. Deshalb bewegen sich die Knoten, das sind die beiden Punkte, in denen der Mond auf seiner Bahn die Ekliptikebene durchstösst, längs der Ekliptik. Daher kommt es auch, dass die Daten der Sonnen- und Mondfinsternisse durch alle Monate hindurch wandern: Finsternisse können nur dann entstehen, wenn der Mond in einem Knoten seiner Bahn ist (und die Sonne gleichzeitig im gleichen oder entgegengesetzten Knoten steht). Die Zeit für einen vollen Ekliptikdurchlauf der Knoten beträgt 6798 Tage oder 18.61 Jahre. Nach der Hälfte dieser Zeit, also im Jahr 2015, werden die extremalen Deklinationen nur ± 18° 17’ betragen.
Die beiden nachfolgenden Grafiken zeigen die Verschiebung der Mondbahn bezogen auf die Ekliptik. Da wird klar, dass die Extrema des Jahres 2006 eigentlich ein rein geometrischer Effekt sind und nicht durch besondere physikalische Ereignisse entstehen. Die maximalen Deklinationen ergeben sich dort, wo der Winkelabstand des Mondes von der Ekliptik und der Winkelabstand des Äquators von der Ekliptik eine grösste Summe ergeben.
[Jahresthema Sternenhimmel 2006, etwas angepasst]